Der Anzac Day ist einer der bedeutendsten Feiertage des australischen und neuseeländischen Kalenderjahres. Der 25. April 2015 stellt ein Jubiläum dar. An jenem Tag vor genau einem Jahrhundert landeten die Australian and New Zealand Army Corps auf der türkischen Halbinsel Gallipoli – dem wohl prägendsten Kriegsschauplatz der beiden Commonwealth Länder.
Grund zum Jubeln gibt es eher keinen. Der Kampf bei Gallipoli war der erste Auftritt der Australier und Neuseeländer auf der umkämpften Bühne des 1. Weltkrieges. Er endete nach acht Monaten eines zermürbenden Stellungskriegs in einer vernichtenden Niederlage für die Alliierten. Die Todeszahlen waren immens. Doch auch wenn die Anzacs die Schlacht unter hohen Verlusten verloren haben – der nationale Gewinn wog schwerer. Unter größtmöglichem Opfer halfen jene Soldaten von Gallipoli dabei, den damals noch jungen Nationen eine gemeinsame Identität zu verleihen, nach der man sich sehnte. Mit Tugenden wie Brüderlichkeit, Tapferkeit und der Glaube an ein „Fair Go“ hatten sich die ehemaligen Kolonien endlich vor der Welt bewährt.
In dieser Schuld sehen sich die Australier und Neuseeländer noch heute stehend. Alljährlich begegnen sie ihr mit außerordentlichem Stolz und Ehrerbieten. Auch wenn er als „Feiertag“ bezeichnet wird, gedenken die Einheimischen am Anzac Day nicht nur den Gefallenen von Gallipoli, sondern denen aller Kriege, an denen man mitwirkte. Der 25. April diesen Jahres steht damit in einem besonderen Licht. Es gilt, 100 Jahre der nationalen Geschichte ehrwürdig zu erinnern.
Gedenken an den Orten des Geschehens
Die bedeutendste Gedenkfeier findet am Kriegsschauplatz Gallipoli, 5 Stunden von der türkischen Hauptstadt Istanbul entfernt, statt. Jedes Jahr begehen Australier und Neuseeland hier drei Gedenkzeremonien zu Ehren der gefallenen Soldaten. Ein gemeinsamer Gottesdienst um 5:30, der sogenannten “Dawn Service”, erinnert an den Zeitpunkt der Landung der Anzacs auf der Halbinsel. Anschließend gedenken die Australier und Neuseeländer nochmals in einer eigenen Zeremonie an getrennten Orten ihren Frontkämpfern.
Sowohl der australische als auch neuseeländische Premierminister werden neben weiteren politischen Vertretern Irlands, Frankreichs und der Türkei anwesend sein. Ebenso haben Prince Charles und Prince Harry stellvertretend für das britische Köngishaus ihre Zusage bekundet. Bei den Festakten in Gallipoli können nur diejenigen teilnehmen, die Anfang des Jahres per Wahl ausgelost wurden. Trotzdessen die Anreisekosten selbst zu tragen sind, rechnen die Veranstalter mit einem enormen Andrang anlässlich des Jubiläums. Bis zu 2.000 Neuseeländer und etwa 8.200 Australier werden erwartet. Eine große Geste zeigt Australien darin, 10 Witwen einfliegen zu lassen, deren verstorbene Männer vor 100 Jahren hier für ihre Überzeugungen kämpften. Sowohl die australische als auch neuseeländische Regierung haben eigens für Gallipoli 2015 Webseiten aufgestellt, auf denen sie die Besucher umfassend über das Programm und die Bedingungen vor Ort informieren. Das folgende Video gibt einen ersten Eindruck, welche “Strapazen” die Menschen aus Down Under auf sich nehmen, um ihren Vorfahren zu gedenken.
Weitere Gedenkveranstaltungen finden in den französischen Städten Villers-Bretonneux sowie Bullecourt statt. Dort verhinderten die Anzacs im 1. Weltkrieg erfolgreich das weitere Vordringen deutscher Soldaten. Gedenken in der Heimat Sowohl in Neuseeland als auch Australien findet landesweit der “Dawn Service” als zentraler Gedenkakt statt. Besonders groß abgehalten wird dieser in den Hauptstädten Canberra am Australian War Memorial sowie im neu eröffneten National War Memorial Park in Wellington. Der Morgenzeremonie schließen sich Veteranenmärsche und Paraden an. Rote Mohnblumen werden niedergelegt, Anzac Cookies gereicht, “Lest we forget” bekundet. Die Leute strömen zu Gedenkorten und Ausstellungen.
Bereits im letzten Jahr leitete Australien unter dem Motto „100 Years of Anzac. The Spirit lives“ das Anzac Jubiläum ein. Eine Homepage führt den Leser entlang der Geschichte zu den Programmpunkten, welche noch bis 2018 andauern. Die begleitende „Spirit of Anzac Centenary Experience“-Ausstellung bringt das Anzac-Gedenken in entfernte Winkel des Landes. Eine „Anzac Centenary Photo App“ interagiert mit den Einwohnern, die von überall auf der Welt Fotos zum Thema online stellen können. In Neuseeland begehen die Einwohner die Anzac Week vom 18. bis zum 25. April. In Wellington wird der Pukeahu National War Memorial Park eröffnet, ein gewaltiges Bauvorhaben der letzten Jahre.
Zwei Ausstellungen begleiten das Jubiläum. “The Great War Exhibition” im ehemaligen Nationalmuseum ist keinem Geringeren als “Herr der Ringe” und “Hobbit” Produzenten Sir Peter Jackson unterstellt. Nach Meinung einiger regten die erlebten Zerstörungen des 1. Weltkrieges den Autor Tolkien zum Schreiben seiner Mittelerde-Epen an. Die zweite Ausstellung findet unter dem Titel “Gallipoli: The scale of our war” im renommierten Te Papa Museum statt. Mit einer Licht- und Musikshow endet schließlich die Anzac Week. Des Weiteren hat auch Neuseeland eine neue App ins Leben gerufen: Die “Ng? Tapuwae Gallipoli App” dient als Gallipoli-Reiseführer. Verschiedene Wanderungen entlang der Küste aber auch Tagebucheinträge sowie Hintergrundfakten zum Kriegsgeschehen können abgerufen werden.
Neben den zentralen Feierlichkeiten finden landesweit kleinere Veranstaltungen zum Jubiläum statt, teils öffentlich, teils privat organisiert: Beide Länder bringen einen Sonderedition an Münzen zum Thema heraus – sicherlich begehrte Sammlerstücke. In Australien sind Autowaschanlage dazu aufgerufen, das Auto eines Veteranen kostenfrei zu waschen. An der Gold Coast in Queensland stellen 40 Rettungsschwimmer in 1. Weltkriegsuniformen die Landung an der Küste Gallipolis nach.
Dass so manche Kampagne im Sog des Gedenkens ihr Ziel verfehlt, zeigt die Aktion des australischen Supermarktriesen Woolworths. Dieser hat anlässlich des Anzac Jubiläums die Website „Fresh in our Memories“ hochgeladen, vom eigenen Slogan „The Fresh Food People“ abgeleitet. Auf dieser ist es Usern nicht nur möglich, ihre Anzac Story zu teilen, sondern eigene Profilfotos mit dem Spruch „Lest we forget“ und „Fresh in our memories“ für Social Media Kanäle zu versehen. Genau dort ist Woolworths nun starker Kritik ausgesetzt. Die Aktion wird als geschmack- und respektlos tituliert, welche die Anzacs kommerzialisiert statt ehrt.
Eine andere Aktion wiederum beweist, dass die sonst so distanzierten Nachbarn Australien und Neuseeland Hand in Hand gehen, wenn es um ihr gemeinsamen nationales Erbe geht: Die Mohnblume, englisch Poppy, ist seit jeher Symbol für das Gedenken an die Gefallenen. Zwei Künstlerinnen aus Melbourne haben zusammen mit Freiwilligen seit Juni 2013 über 170.000 Mohnblumen gestrickt. Sie hoffen, bis zum 25. April 200.000 Stück zu fertigen. Diese werden zu Netzen zusammen gefasst und als „Mohnblumen-Felder“ auf dem Federation Square in Melbourne niedergelegt.
Währenddessen leidet Neuseeland Notstand an Poppys. Nach Produktionsproblemen in Christchurch sind von geplanten 1,25 Mio. Mohnblumen weniger als 800.000 für die Zuschauer der Zeremonien fertig. Die Returned and Services League von Victoria, Australien erklärte sich bereit, rund 200.000 aus ihrer Mohnblumen-Reserve an das Nachbarland zu schicken. Gerade ein Deutscher mag sich angesichts der Geschichte unseres Landes mitunter verloren in den Gedenkfeiern vorkommen. Doch wer sich zum Anzac Day in Australien oder Neuseeland aufhält, erlebt Land & Leute von einer sehr persönlichen Seite, fernab der Beschreibungen eines Reiseführers.
Update 15.04.2015: Die Supermarktkette Woolworths wurde mittlerweile von hoher Stelle dazu aufgefordert, die Kampagne zu stoppen. Der Minister for Veterans’ Affairs Michael Ronaldson verlangte eine sofortige Stilllegung der Website. Woolworths kam dieser nach und bedaure die Aktion.
Mehr Information rund um den Anzac Day 2015 gibt es auf den folgenden Seiten: Australien: Gallipoli 2015, 100 Years of Anzac, Camp Gallipoli Neuseeland: Gallipoli 2015, New Zealand WW100, Ministry for Culture & Heritage, Anzac.govt.nz
© Fotos: Stefanie Stadon; Annika Fritsche
Hallo,
vielen Dank für die ausführliche Darstellung zu ANZAC. Das mit den 10 Witwen passt nicht! Das könnten max. die (sehr alten) Kinder von Gefallenen sein, müssten aber auch schon alle über 100 sein…???
LG
Peter
Hallo Peter,
vielen Dank für deine netten Worte und den Hinweis. Allerdings handelt es sich tatsächlich um Witwen von Soldaten, die im 1. Weltkrieg an der Front kämpften. Sie müssen damals ja noch nicht verheiratet gewesen sein. Der mit einem Link hinterlegte News-Beitrag erklärt das sehr gut. Ein Paar hat z.B. erst 1956 geheiratet. Hinzu kommt ein wahrscheinlicher Altersunterschied.
Liebe Grüße,
Steffi