Australien ist ein sportbegeistertes Land. Es gibt kaum einen Einheimischen, der nicht irgendeiner Sportart nachgeht – sei es der Fitness oder dem Spaß wegen. Vor allem drei Sportarten buhlen dabei um die Aufmerksamkeit der Zuschauer: Rugby, Cricket und “Footy”. Während Cricket in allen Ecken des 5. Kontinents mal mehr, mal weniger enthusiastisch verfolgt wird, ist Rugby in Queensland und New South Wales der unangefochtene Liebling. In allen anderen Staaten und Territorien, allen voran im kleinsten Bundesstaat Victoria, ist hingegen Australian Football der “sport to be”.
Australian Football, auch Aussie Rules oder schlichtweg Footy genannt, hat mit Fußball so viel zu tun wie Tennis mit Federball. Das Prinzip ist irgendwie das gleiche, aber doch ganz anders. Footy ist ein sehr schnelllebiges Spiel mit Torgarantie. Ein ernüchterndes 0:0 nach langatmigen 90 min. wird man hier nicht erleben. Stattdessen wüste Körperangriffe, eiernde Bälle, zu viele Pfosten und feierwütige Fans. Das männliche Publikum jubelt laut bei jedem Torangriff, die weiblichen Zuschauer erfreuen sich an den knappen Hosen der Spieler. Und wenn die Kamera vorbeischwenkt, küsst man sich auch gerne kurz für die große Leinwand.
Im Zuge des Saisonstarts möchten wir euch hier einen Einblick in die Geschichte und das Regelwerk jener Sportart geben, die so nur in Australien gespielt wird.
Geschichte
Mitte des 19. Jahrhunderts war der in Melbourne lebende Thomas Wills auf der Suche nach einer Sportart, um Cricket-Spieler während der australischen Winterspielpause fit zu halten. Dabei ließ er sich von den Sportarten Rugby und Gaelic Football beeinflussen, aber wohl auch bei Ballspielen der Aborigines in West Victoria. Am 07. August 1858 gründete er den Melbourne Football Club, aus welchem die Victoria Football League hervorging. Bis 1982 waren in dieser Liga nur Teams aus Victoria vertreten. Mit der Gründung der Australian Football League (AFL) 1989 fand der Sport immer mehr Zustimmung im ganzen Land; weitere Staaten entsandten eigene Teams in die AFL. Doch Footy bleibt tief verwurzelt in Victoria. Von derzeit 18 Vereinen kommen zehn aus Melbourne und Umland. Jeweils zwei weitere Mannschaften werden von New South Wales, Queensland, Western Australia und South Australia gestellt. Die Zahlenverhältnisse verdeutlichen, dass Victoria wie keine andere Region in Australien bei dieser Sportart mitfiebert.
Footy war stets ein Spiegelbild der Geschichte des 5. Kontinents. So erfasste nach der Niederlage australischer Soldaten bei Gallipoli (heutige Türkei) im 1. Weltkrieg eine wahre anti-deutsch Hysterie Down Under. In diesem Zusammenhang änderte der Football Club St. Kilda seine Trikotfarben. Spielten sie bis dato in schwarz-weiß-rot, einem Abbild der deutschen Kaiserreichsflagge, wechselten sie zu den Farben schwarz-rot-gold. Ironie, die wohl seinesgleichen sucht. Bald nach dem 1. Weltkrieg trug ihr Trikot jedoch wieder die ursprünglichen Vereinsfarben. Noch heute findet am Anzac Day, dem Feiertag am 25. April in Gedenken an die gefallenen Soldaten, der traditionelle “Footy Clash” zwischen den Teams Essondon und Collingwood statt. Gedenken wird nicht mit Trübsal, sondern mit Sport begangen – typisch australisch eben!
Regelwerk
Bei Australian Football ist der Ball nicht rund und er muss auch nicht wirklich in das Eckige. Das Spielfeld ist vom Cricket übernommen und damit oval, ebenso wie der ca. 450g schwere Ball. Pro Mannschaft stehen 18 Spieler auf dem Feld, die ähnlich wie beim Fußball in bestimmten Positionen spielen, z.B. Full Forward (Sturm), Center Line (Mittelfeld) und Full Back (Abwehr). Einen Torwart gibt es nicht; dafür drei Hauptschiedrichter, zwei Torschiedsrichter und vier Linienrichter. Ein Spiel ist in vier Quarters (Viertel) gegliedert. Diese dauern in der AFL 20 Nettominuten, d.h. es wird so lange weiter gespielt, bis der Ball im Aus ist oder ein Tor fällt. Daher sind die Quarters meist deutlich länger als 20 min.
Ziel des Matches ist es, so viele Torpunkte wie möglich zu erzielen. Während des Spiels darf der Ball sowohl geschossen als auch per Hand gespielt werden. Dabei wird der Ball entweder mit der Faust (Handpass) oder mit offener Hand (Tap) geschlagen, ähnlich wie beim Volleyball. Werfen ist verboten! Kopfbälle sind mit einem eiernden Ball wohl eher schwierig zu meistern und daher untypisch. Der Spieler darf mit dem Ball in der Hand über das Spielfeld rennen. Alle 15 m muss der Ball jedoch den Boden berühren oder geprellt werden. Wer einen Ball in der Luft fängt, der zuvor länger als 15 m geschossen wurde, hat einen “Mark” gesetzt und darf von dort aus einen Freistoß ausüben.
Footy erfordert vollen Körpereinsatz. Beim so genannten “Tackle” darf der gegnerische Spieler festgehalten, gestoßen oder umgeworfen werden. Diese Körperattacken dürfen nur im Bereich zwischen Schulter und Knie stattfinden. Der “Getackelte” selbst darf den Ball nicht umklammern sondern muss ihn möglichst vor oder während der Attacke an einen Mitspieler abgeben. Footy kennt weder rote noch gelbe Karten, “Elfmeter” oder eine berüchtigte Abseitsregel. Nebenbei sei erwähnt, dass die Spieler keinerlei Polsterung tragen. Es sind lediglich Mundschutz, Hand – und Schienbeinschoner gestattet. Blutende Nasen und ausgerenkte Schultern gehören also ebenso zum Footy dazu wie die zahlreichen Tattoos der Spieler und kostümierte Fans.
Vier nebeneinander stehende “posts” (Pfeiler) am Ende des Spielfelds bilden insgesamt drei Tore mit je 6,4 m Breite. Ein Netz gibt es keines. Die zwei mittleren, höchsten Pfeiler bilden das eigentliche “goal” (Tor), die beiden “behind post” die zwei Außentore. Wird der Ball zwischen die “goals posts” mit dem Fuß geschossen, gibt es 6 Punkte. Gelangt der Ball durch einen Handstoß ins “goal” – Tor oder wird er zuvor von einem anderen Mitspieler berührt, gibt es nur 1 Punkt. Ebenso 1 Punkt erhält die Mannschaft, wenn der Ball durch das Außentor geschossen oder mit der Hand gestoßen wird. Prallt ein Ball an einem der vier Pfeiler ab, gibt es dafür 1 Punkt, selbst wenn der Ball danach wieder zurück ins Spielfeld rollt. Wer ein Eigentor schießt, kommt ebenfalls mit 1 Punkt für das gegnerische Team glimpflich davon.
Der Punktestand setzt sich aus drei Nummern zusammen. Die 1. Zahl gibt die Anzahl der “goal”-Tore wider, die 2. Zahl die Anzahl der “behind”-Tore. Die 3. Zahl entspricht dem zusammenaddierten Spielstand. Steht es also 5-10-40, hat die Mannschaft 5x “goal”-Tore a 6 Punkte geschossen (30 Punkte) sowie 10x “behind”-Tore (10 Punkte). Zusammen addiert ergibt das 40 Punkte.
Saison
Australian Football ist eine australische Wintersportart. Die Saison findet von März bis September statt. Es gibt vorsaisonale Wettbewerbe wie den NAB Cup und kleinere regionale Ligen. Die größte und prestigeträchtigste Liga ist die AFL. Gespielt wird an Wochenenden und besonderen Feiertagen wie z.B. den Anzac Day. Am Ende der Saison erhält der Tabellenerste den Ligapokal. Doch dieser ist eigentlich nur ein vorläufiger Trostpreis. Der Höhepunkt jeder Saison ist das Grand Final. Die acht besten Teams der Saison spielen eine “separate Runde”, in der sich Gewinner und Verlierer im K.O.-System Richtung Sieg kämpfen. Der Gewinner hält am Ende den Meisterschaftspokal in den Händen! Das Grand Final findet traditionell am letzten Septemberwochenende im Melbourne Cricket Ground (MCG) in Australiens Sporthauptstadt statt und zieht im Schnitt weit über 90.000 Zuschauer an. Damit ist es eine der weltweit bestbesuchtesten Vereinsmeisterschaften. Generell hat die AFL eine der höchsten Zuschauerzahlen weltweit. Zu jedem Spiel kommen durchschnittlich mehr als 30.000 Fans.
Das verdeutlicht die enorme Popularität von Footy in Australien. Zwar können sich die Spieler nicht wirklich mit einer anderen Nation messen, da Footy so nur dort professionell gespielt wird. Doch es ist die bei weitem populärste Zuschauersportart auf dem 5. Kontinent. Darüber hinaus ist sie die Sportliga mit dem höchsten Anteil indigener Spieler. Sport führt eben so manche Gegensätze zusammen.
In diesem Sinne ist ein Besuch eines Footy Spiels auf jeden Fall empfehlenswert. Mehr Infos zu Spielzeiten und Tickets findet ihr auf der Website der AFL.
© Fotos: Visit Victoria / Peter Dunphy / David Hannah
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